Tönt abartig, oder nicht? Hexen, und das hier in der Briefkastenfirmenhochburg? Da wär Handels-/ und Finanzheinis doch eher passend, aber Hexen?
Dass vor etwa 400 Jahren- Doch schon ein Augenblick her- hier an diesem idyllischen Ort Hexen geköpft und verbrannt wurden, das mag man sich gar nicht so recht vorstellen. Passt so gar nicht in dieses hüpsche, rausgepützelte Städchen am See. Man hört meistens von Geschichtsbüchern aus Deutschland oder England von Hexenprozessen. Oder in amerikanisierter Form von Halloween. Eventuell noch der medial ausgewallte Hexenprozess der «letzten Schweizer Hexe» Anna Göldin.
Dass aber hier, an den Ufern des Zugersees genauso grausam und gnadenlos gemordet wurde.
Das wissen nur wenige.
In der Zeit von 1559 bis 1738 wurden hier in Zug schriftlich nachgewiesen 188 Personen- meist Frauen, aber auch Männer und Kinder(!)- der Hexerei bezichtigt mit dem Schwert enthauptet und verbrannt.
Ein sehr dunkles Kapitel, zu welchem wir die Gelegenheit bekamen, etwas in den Kochkessel zu gucken.
Die in Zug bekannte und beliebte Erzählerin Maria Greco hat eingeladen. Zu einem Gang durch die Geschichte der Hexenverfolgung hier in Zug.
Mit viel Insbrunst hat sie uns die Geschichte der letzten Hexe in Zug, Katharina Kaltbacher, kaum 17 Jährig, erzählt. Ihre Selbstanzeige, die Folterung, die Verurteilung, der Gang zum Schafott. Frau Greco schlüpft gekonnt in diverse Rollen, einmal ist sie der Richter der den Schuldspruch spricht, einmal die Katharina selber, dann die Frau Bosshard, die mit dem Prozess unschuldig mitschuldig als Mitläuferin zum Tod verurteilt wurde, bis hin zum Arzt und Wissenschaftler Paracelsus, welcher die Anzeichen der Hexerei gut kannte, und auch «gar tunliche Gegenmittel feilhalten thut».
Damit auch die Kulisse für diese spezielle Aufführung stimmig ist, findet das Ganze in der Zuger Altstadt statt, dem Originalschauspielplatz des Ereignisses.
Wir beginnen vor den Toren der St. Oswaldskirche. Beim Ratshaus lernen wir den Richter kennen. Am Fischmarkt chli versteckt die Katharina. Auf dem Landsgemeindeplatz die unschuldige Frau Bosshard. Mit dem Fingerzeig Richtung Richtstätte beim Schutzengel und den Ausführungen Dr. Paracelsus unter dem Regierungsgebäude und Anfangs Katastrophenbucht führt uns die Erzählerin guten Schrittes voran. Zwischen den Stationen lässt sie uns immer etwas Zeit zum Nachdenken und über das Gehörte zu sinnieren. Gebannt hängen wir an ihren Lippen und sind erstaunt, mit welcher Härte man damals durchgegriffen hat.
Die Meisten der zirka 50 Personen umfassenden Gruppe heute sind Frauen. Sind nachdenklich und gehen den Gedanken der eben erzählten Epidoden nach. Nur einige Mitgängerinnen können nicht richtig dabeisein und quatschen einander zu mit völlig Unwichtigem, was ausser sie selber keinen Einzigen interessieren.
In der Katastrophenbucht wendet aprupt das Blatt, die Szene. Frau Greco proklamiert die Namen, das Jahr, den Herkunftsort der Verurteilten,dessen Alter und die Todesart (geköpft und meist verbrannt) auf.
Und zur Bekräftigung reisst sie von dem mitgebrachten Rosenstrauss einige Blütenblätter ab und lässt diese auf den Boden fallen.
Mich fröstelt, ein eindrücklicher, schauriger, stummer und anklagender Moment.
Sie schreitet dann weiter voran, steigt auf den nächstem Bank und schaut uns eindringlich an. Dann eine neue Aufzählung zum Tode Verurteilter, Herkunftsort, Alter, Todesart. Sie reisst weitere Blütenblätter von den Rosen und streut sie- Mich friert!
Diese Szene macht sie diverse Male, immer wieder mit neuen Namen und Jahreszahlen.
Ich komme mir vor wie auf einem Kreuzweg. Immer wieder Namen, Herkunft, Alter, Todesart.
Immer und immer und immer wieder.
Langsam kriecht in mir eine Wut auf… Wie konnte man nur derart brutal gänzlich unbehelligte Personen mit Gewalt zum Geständnis zwingen, um diese dann zum Tode zu verurteilen?
Der Kreuzgang zieht sich wie gesagt von der Katastrophenbucht bis zur Schützenmatt und dem Europakreisel am Siebach. Wir hinterlassen eine tiefrote Spur an Blütenblättern, Menschenleben, grausam gefoltert und aus dem Leben in den Tod getrieben.
An der Brücke schliesslich kommt der Scharfrichter zu Wort. Er führt gegebene Befehle aus, wird von den anderen Bürgern verächtet. Er wird bezahlt, den verurteilten Menschen «gar gütig» mit einem gezielten Beilschlag dessen Leben zu beenden. Das sei eine Belohnung für ihr Geständnis…
Er führt uns zu seiner Arbeitsstätte, dem Richtplatz, wo er die Verurteilten geköpft und verbrannt hat.
Hier endet die Geschichte von Katharina Kaltbacher. Man vermutet, dass sie die um die 20 Mitmenschen mit angeklagt hat, weil diese ihrem Vater verspotteten und unrecht behandelten. Und damit sich rächen wollte und diese unschuldigen unbeteiligten Personen mit in den sicheren Tod trieb.
Ob sie an einer Geisteskrankheit litt, oder wirklich böswillig war, das kann auch das noch erhaltene über 400seitige Protokoll nicht beantworten. Es sei jedoch grüselig in jeder Detailliertheit aufnotiert, welch grausame Qualen man der jungen Frau zugemutet hatte.
Hinter der Schutzengelkapelle erinnert e bitz versteckt ein kleines Kreuz mit Inschrift an diese Greueltaten- Fast, als würde man sich schämen dafür, und es schnell vergessen lassen wollen.
Dies ist aber völlig falsch. Auch wenn ich es selber scharf verurteile, dass diese Hexenjagd in meinem Geburtsort stattgefunden hat…
Es ist ein Teil unserer Geschichte. Es sollte mehr als dieses versteckte Denkmal an diese Gräueltaten erinnern können, es soll besser sichtbar für alle sein, und auch jedem bewusst machen, dass diese Hexenjagd zwar schon über 300 Jahren beendet wurde.
Es aber heute mit social bashing genauso schlimm ist, wie damals. Es viele Jugendliche und Erwachsene in den Selbstmord treibt.
Tragisch!
Und dass man weder den Richter noch die Menschen, welche die Todesstrafe ausführen mussten, verurteilen sollte: Sie wussten es schlicht und einfach nicht besser.
Es war der Druck der Bevölkerung und die Sensationbegierde der Leute (Meist waren die Vollstreckungen publikumswirksam an einem Dienstag, dem städtischen Martkttag (an dem Marktpflicht herrschte), und viel Volk als Schaulustige anwesend war).
Auch hier sind Parallelen zu heute durchaus vorhanden: Wir glauben so viel, was uns die Medien vortragen. Sind sensationsgeil, drehen den Kopf, wenn ein Martinshorn vorbei tatütataet. Rennen für eine Meinung, die wir eigentlich gar nicht wollen. Verurteilen Unschuldige, um einen Sündenbock zu haben, und von einem selber abzulenken.
Der abendliche Gang mit Maria Greco war sehr informativ, lehrreich und voller nachdenklicher Momente. Es waren spannende 1 1/2 Stunden, und für mich immer noch ein bisschen unfassbar, dass hier an diesen Ufern des Sees so Tragisches ereignet hat.
Völlig bereichert und etwas erschlagen von der Geschichte gönnen wir uns im Quai pasa am See einen Drink.
Das war exrem eindrücklich !
Herzlichen Dank Frau Greco, dass wir dabei sein konnten!
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