
Jeweils Ende Juli/Anfangs August bin ich immer leicht nervös. Denn ich kann das Büechli kaum erwarten, welches man jährlich neu (und kostenlos!) bestellen kann.
Was steht denn so mega Interessantes in diesem Ding drin? Frägst du dich. Werum ist das Alljahr neu? Und wieso gratis? Was ist das denn für ein choge Büechli? Hm?
Dieses handliche Nachschlagewerk wird jeweils vom NIKE (Nationale Informationsstelle zum Kulturerbe) herausgegeben. Es enthält lauter interessante Orte, welche zum Anlass des europäischen Denkmaltages für das Publikum (vielfach einmalig) geöffnet werden. Jährlich neue Themen lassen den Fokus auf ebendieses Motto lenken.
Heuer ist es „Weiterbauen“. Wie wird mit historischen Gebäuden umgegangen, um sie zwar auf heutigen technischen Stand, jedoch die Substanz, die visuelle Erscheinung des Gebäudes möglichst wenig zu verändern, im Ursprung zu lassen. Ein sehr spezielles und ehrgeiziges Thema.
Das Büechli enthält zu jedem der sich anbietenden Orte einen Kurzbeschrieb, um was es geht, was da geht, was noch kommt. Und dass überall schweizweit. Meist an einem Wochenende Mitte September.
Üsserscht gäbig, gäu?
Wir sind seit Jahren recht Fän dieser «Tage des Denkmals», und haben schon einiges sehen dürfen, was sonst dem privaten Auge verborgen bleibt. Ich erinnere zum Beispiel ans Alvar Aalto-Hochhaus in Luzern, das Hotel Europäischer Hof in Engelberg, den Beckenhof in Zürich, und und und.
Du siehst, eine Vielzahl an ganz ganz interessanten Sachen, welche man bestaunen kann. Unbekannte, aber nichtsdestotrotz intressante Stätten, welche auch zu unserer Geschichte gehören wie eine Stiftsbibliothek in Einsiedeln, der Bärengraben in Bern oder dem Jet d’Eau in Genf.
Hab auch immer wieder hier über die verschiedenen besuchten Orte geschrieben- Für treue Leser sicher nicht unbekannt. Hier der Link zu einem söttigen Bericht.
Grad weil sie nicht im Touristenführer auftauchen, sind sie nicht weniger authentisch und zeigen anschaulich ein Stück unserer Gesellschaft. Und auch drum, weil sie meist nur einmalig zu besichtigen sind, man obendrein sehr versierte Informationen durch geschultes Personal bekommt.
Eine sehr interessante Lehrstunde mit Nachhaltigkeitsgarantie.
Dies ist alles möglich wegen dem Europäischen Tag des Denkmals. Ganz Europa macht da mit. Auch die Schweiz zeigt anhand dieser Tage ganz Erstaunliches und geschichtlich sehr Interessantes.
Heuer war im Kanton Zug etwas mir gänzlich Unbekanntes zur Besichtigung freigegeben.
In Baar wurde das Wasserreservoir der ehemaligen Spinnerei den Interessierten geöffnet.
Dass hier die zeitweise grösste Spinnerei der Schweiz war, ist noch einigen Einheimischen bekannt.
Aber ein Wasserreservoir?
Wo den?
Wie denn?
Wieso denn?
Äbe!
Wir radeln mit unseren Velos los, es ist noch herrlich frisch und recht ruhig auf den Strassen. Hat nur Hündeler und Jogger underwägs. Aber zmitzt drin (zwischen Baar und Steinhausen), idyllisch am Bach im Wäldchen im Nirgendwo, reisst mir die Velokette!
Hou nei!!
Ein Glied der Kette hat sich dermassen verkantet und lässt sich auch nüm retourbiegen! Scheisse, was machen wir nun? Hier im Niemandsland? Umkehren? Velo stossen?
Heul! Grummel!
Wir sind beide chli hässig, denn haben wir uns doch so gefreut, auf die Besichtigung dieses einmaligen Wasserreservoirs.
Gut, wir versuchen -Da es nur noch etwa zehn Minuten zum Ziel sind- irgendwie doch fahrend, die Kette war zum Glück nicht ganz gerissen. Aber angenehm war das fahren nicht, ich säg der’s… Puuh!
So kommen wir vorsichtig trampend in der ehemaligen Spinnerei an, und stellen das Velo an einen Schopf, denn von hier an weiter ist Fahrverbot, und es liegen gemäss Broschüre 10 Minuten Fussmarsch vor uns. Bereits ist es zehn Uhr, die erste Führung startet gleich. Dementsprechend geben wir Gas, um doch noch irgendwie daran teilzunehmen.
Am ersten Reservoir vorbei, gehts happig den Berg rauf, nur eine Kurve noch, dann sollten wir vor dem Ort des Geschehens sein. Das zweite Reservoir liegt vor uns, aber niemand hier?
Huh?!
Wir sehen keine Tafeln, keine Info, nix. Was auch nur in kleinster Weiss irgendwie darauf hinweisen tut, dass hier irgendwie irgendwo irgendwelche Führungen stattfinden sollen.
So stehen wir etwas verloren und noch staubiger an der Sonne, welche langsam anfängt zu heizen.
Wir haben chli genug, sind recht putzig, es scheint heute aber auch nichts zu klappen! Und gehen den etwas steileren aber im Wald befindlichen Weg zurück. Über Stock und Stein erreichen wir wieder unser Velo und haben da ja noch unser Problem mit der kaputten Kette.
Das Ganze ein Leerlauf? Sch….!
Sitzen aufs Velo, denn wir wollen möglichst umgehend wenigstens das Malheur mit der Velokette behoben haben.
Auf dem Spinnereiparkplatz besinnen wir uns doch nach kurzer Besprechung nochmals, wie gerne würden wir doch das einmalige Baudenkmal angucken gehen.
Aber wo ist das vermaledeite Ding?
Also stellen wir das Velo wieder an den Schopf. Und nun sehen wir auch den Wegweiser, welcher wieder rauf zum Berg führt.
Wieder stehen wir vor dem 2. Reservoir und tatsächlich, noch ein weiterer Wegweiser.
Dass wir den bei der ersten Runde nicht gesehen haben?
Der war doch vorher aber nicht da?
Ach…
….ist aber auch verschwindend klein, der Hinweis, gopf.
Dieser führt uns immer höher, immer weiter weg vom Dorf. Also 10 Minuten Gehzeit- Iwo!! Mit dem Auto vielleicht? 1,5 km und 100 Höhenmeter und 30 Minuten später sind wir dann würkli da!
Halleluja!
Die Aussicht übers Zugerland ist herrlich, aber dass man hier hinten im Gjätt ein Reservoir baut??
Ein Pavillon, mehrere Leute, Velos(!) und ein extra montierter Wassehahn empfangen uns an dieser Stätte. Wir sehen nur Wiese und ein neu erstellter Stollen ins Innere.
Wir kommen langsam zu Luft, erfreuen uns an der herrlichen Aussicht, und die Laune wird doch noch langsam besser.
Eine Einleitung durch den Korporationspräsidenten als Eigentümer des Reservoir’s sowie einer Fachperson des Amts für Denkmalpflege findet auf dem Dach der 5000m3 fassenden Wasserbeckens statt. Man sieht nur das Schieberhäuschen, welches chli verloren hier zmitzt in der Gegend steht.
1858 wurde die Spinnerei an der Lorze erbaut, die Wasserkraft des Flusses als Energiequelle genutzt. Da dieser jedoch manchmal mehr oder weniger Wasser führt, schnell der Bedarf nach kontinuierlicher Energiezufuhr aber unabdingbar wurde, erstelle man 1890 hier auf halber Strecke zwischen Quelle und Fabrik ein Reservoir aus Beton. 39 Meter lang, 32 Meter breit und 4,8 Meter hoch. Und alles geschickt ins Gelände eingelassen, so, dass man nichts sieht, ausser eben dem Schieberhäusschen. Die Quelle lieferte über 100 Liter Wasser pro Sekunde. (Macht sie übrigens heute immer noch.)
Wow!
Die betonierten Wände des Reservoir’s sind unten 1,2 Meter, oben 1 Meter dick. Um Algenbildung einzudämmen, wurde das Reservoir eingewölbt. Nicht nur die Turbinen der Spinnerei wurden mit diesem Wasser via Druckleitung angetrieben, auch elektrisches Licht für die Fabrik (notabene sieben Jahre bevor es im Dorf elektrisierte Strassenbeleuchtung gab) produziert, denn die bis dato verwendeten Gaslampen waren gefährlich, stanken und waren nicht so effizient wie die 1878 neu erfundene Glühbirne.
Du siehst, wir sind voll im Zug der Industialisierung, es folgten Erfindungen auf Erfindungen, die Weltausstellung 1879 in Paris glänzte mit der Vorstellung der Eismaschine, eben der Glühbirne, der Eiffelturm wurde erst gebaut um 1889 ebenfalls an einer Weltausstellung ebenda bestaunt zu werden.
Es folgte also Schlag auf Schlag (für jene unter uns, welche die Schnelllebigkeit unserer Gesellschaft heute benörgeln- gabs also schon damals, hm?), die Industrialisierung hat begonnen, die Blütezeit reicht bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges 1914.
Auch hier wieder eine Parallele zu heute, wir müssen gewaltsam gestoppt werden, um wieder chli Boden unter den Füssen zu kriegen.
Gut! Wo war ich?
Aja, das Wasserreservoir in der Oberallmig. Neben eben der elektrischen Energie und dem Antrieb der Maschinen war das Wasser ja von so guter Qualität, dass es auch als Trinkwasser an die von den Arbeitern bewohnten Kosthäusern der Spinnerei abgegeben werden konnte.
Bereits Anfangs des 20. Jahrunderts wurde das Reservoir jedoch schon überflüssig, die Energie wurde von Dampf und anderen Motoren betrieben und machten so das Bauwerk eigentlich überflüssig.
Und ab 1920 begann der Abbau der über 500 Arbeitsstellen, und die Rekordzahlen von über 62’0000 Spindeln wurde nie wieder erreicht.
Übrigens bezog man damals schon die Rohstoffe aus dem Ausland, und exportierte die hier gefertigte Ware auch im grossen Stil.
Bis 1990 lief die Fabrik noch so mehr schlecht wie recht, danach wurde sie an Immobilienverwaltungen verkauft.
Das brachliegende Reservoir wurde von der Korporation Baar-Dorf für 1,5 Millionen Franken zurückgekauft. Die Ländereien und Wasserrechte hatten für die Investoren keine Verwendung mehr.
So schnell wie der Aufschwung da war, so schnell verschwand er wieder. Die Gebäude der Spinnerei stehen noch, sie sind renoviert und vermietet. Auch eben das Reservoir wurde instandgesetzt, und steht nun interessierten Leuten zur Verfügung.
Im Innern an eine Kathedrale erinnernde Gewölbebogen sind geschickt mit Licht beleuchtet, an die Hinterwand werden blaue Wellen projiziert. Fast surreal sowas und das hier.
Wunderschön!
Es gibt noch einige Erläuterungen zum Bau und dann liess man uns die bis dato unbekannten Ecken des Reservoir entdecken. Fantastisch, was man da vor zirka 150 Jahren schuf. Für nur wenige Jahrzehnte, weil die Technik sich so rasant entwickelte.
Dass wir so etwas begüxeln durften, ist toll. Uns hat es extrem gefallen.
Wir stehen in diesem 5000m3 Raum und staunen über die Machart dieses Reservoir’s, wie vorausschauend man damals baute, obwohl weder Armierungseisen noch moderne Maschinen zur Herstellung von Beton in Verwendung waren.
Dass das Reservoir nur wenige Jahrzehnte in Betrieb war, ist eigentlich schade, gut hat es der Eigentümer nun instand gesetzt, und öffnet es nun dem Publikum.
Nach diesem Ausflug ins Ende des 19. Jahrhundert’s gehts dann gemütlich wieder runter zum Velo.
Dieses muss ja dringend in die Werkstatt- Wir beschliessen es nach Steinhausen zu fahren, dahin wo wir es gekauft haben.
Den Shopleiter kennen wir mittlerweile sehr gut, er teilt uns mit, in Bälde die Stelle zu wechseln, och nein!!!
Aber für ihn ist’s Ok- Wir wünschen ihm mit dem neuen Job alles Gute, und dass er sein Papisein geniessen kann- Inkl. Kaffipausen und so.
Die Kette wird sofort ersetzt – Ich muss nur das Material bezahlen.
Ein versöhnlicher Abschluss, der mit einer feinen Grillade mit noch feinerem Dessert (Tiramisù con uva americana) gen Mitternacht auslief.
Was gibt’s ächt nächstes Jahr anzugüxeln?
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